Mit einer berühmten Formulierung des jungen Marx lässt sich die Kritik der Religion als Voraussetzung aller Kritik bezeichnen. Wie das Geld und die Waren, die mit ihm gekauft werden, haben auch Religionen eine zwieschlächtige Natur. Ihr Erscheinungsbild ist ambivalent, es irritiert und irisiert zugleich. Gott und Geld teilen die Eigenschaft, dass sie sind, was sie bedeuten: Symbol und Gegenstand in einem. Ihre Wertsphäre ist der Gesamtprozess oder die Totalität der menschlichen Gattung. Unterschiedliche Interessen führen jedoch dazu, dass sich der Begriff des Allgemeinen nur in Widersprüchen denken lässt. Diese sind in der Religion im doppelten Wortsinn gut aufgehoben: als wirklicher Ausdruck und überwirkliche Suspension.
Die erste Aufgabe der Religionskritik besteht deshalb darin, zwischen dem Bereich der Transzendenz und dem der Immanenz, d. h. zwischen Göttern und Gottesvorstellungen zu unterscheiden. Weil sich Überempirisches nicht erforschen lässt, sind die Gegenstände der Religion und die der Wissenschaft nicht deckungsgleich. Die „Tatsachen” des Glaubens bleiben ohne empirische Vermittlung dem Reich der Fantasie verhaftet. Hat man die Metaperspektive der Religionswissenschaft einmal verstanden und gelernt, von den Grundsätzen der religiösen Binnennormativität zu abstrahieren, zeigt sich, dass Götter und Gottesvorstellungen nicht voneinander getrennt werden können. Auf die analytische Differenzierung als erstem folgt die Aufhebung der Trennung als zweiter Schritt.
Wenn es stimmt, dass Geld und nicht Gott die Welt regiert, ist es von grundlegender Bedeutung, Religions- und Ideologiekritik als Einheit zu begreifen. Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde. Auch die Lehren der Religion fallen nicht vom Himmel und sind auf das Irdische als ihre Bedingung angewiesen. Wie die Religionswissenschaft setzt deswegen auch die Religionskritik beim wirklichen Leben an. Da Religionen nie „rein”, sondern nur historisch vorkommen, muss sich die Kritik an den jeweiligen Zeit- und Lebensumstände orientieren. Kritisieren (krínein) bedeutet dem griechischen Wortlaut nach „unterscheiden”, in einem wissenschaftlichen Kontext: differenzieren. Dass ohne intensives Studium keine seriöse Auseinandersetzung mit religiösen Phänomenen möglich ist, gilt besonders dann, wenn antihumanes Verhalten religiöser Menschen der Religionskritik eine verneinende Form aufzwingt.
Wer mehr über den Zusammenhang von Religionswissenschaft und Religionskritik wissen möchte, sei auf den nachstehenden Artikel verwiesen. Er enthält auch eine Kritik an der postsäkularen Kantinterpretation von Jürgen Habermas.